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24. März 2012 | Sten

„Das Bild der Alpen verändert sich unwiderruflich“

 

Interview mit Martin Nellen, Bergführer und Skilehrer, Riederalp (VS)

 

Martin Nellen arbeitet seit rund 35 Jahren als Bergführer und Skilehrer. Wir haben mit ihm über seine Erfahrungen am Berg und die Auswirkungen des Klimawandels gesprochen.

 

Salü Martin! Seit 35 Jahren bist du auf dem Aletschgletscher unterwegs. Wie hat sich die Region während dieser Zeit verändert?

Eine der augenfälligsten Veränderungen ist der zunehmend schnellere Rückzug des Gletschers. Im Durchschnitt der letzten 100 Jahre betrug der Rückzug rund 20 Meter pro Jahr. In den letzten 35 Jahren waren es bereits 35 Meter und in den letzten 10 Jahren sogar 50 Meter. Wenn man bedenkt, dass grosse Gletscher wie der Aletschgletscher eine Reaktionszeit bei der Längenänderung auf Klimaschwankungen von rund 25 Jahren haben, so muss man annehmen, dass sich aufgrund der Hitze-Rekorde der letzten Jahre dieser Rückzug nochmals beschleunigt. Der Rückzug führt dazu, dass der Zustieg zum Gletscher immer länger und schwieriger wird. Zum Teil müssen wie bei den Konkordiahütten regelrechte Treppensysteme erbaut werden, damit die früher am Gletscherrand liegenden Hütten gefahrlos erreicht werden können.

 

Die Folgen des Klimawandels für die Alpen sind stärker als für übrige Regionen Europas. Wie wirkt sich das auf die Alpen aus?

Wenn man davon ausgeht, dass die Schneegrenze bei einem Anstieg der Temperatur um 0.65° C 100 Meter ansteigt, so hat der aktuelle Temperaturanstieg von rund 1.5° C die Schneegrenze bereits um fast 250 Meter angehoben. Die Auswirkungen auf tiefer gelegene Skigebiete sind bekannt. Gleichzeitig mit dem Anstieg der Schneegrenze steigt auch die Grenze zwischen Nähr- und Zehrgebiet der Gletscher sowie die Permafrostgrenze. Der fehlende Gletscherdruck auf die Hänge, der wie einen Stützpeiler wirkt, sowie der Anstieg des Permafrostes lassen viele Bergflanken ins Rutschen kommen. Dies wiederum führt dazu, dass Wege verlegt und alpine Routen nicht mehr begangen werden können.

 

Als Bergführer und Skilehrer bist du auf sichere Verhältnisse und genügend Schnee angewiesen. Beängstigen dich die aktuellen Entwicklungen?

Existenzängste habe ich keine. Sorgen bereitet mir die Entwicklung auf jeden Fall, da sich das Bild der Alpen unwiderruflich verändert. Als Bergführer muss man sich den neuen Gegebenheiten anpassen und neue Angebote schaffen, welche vom Gast gewünscht und im Gelände gefahrlos durchgeführt werden können. An Stellen, die früher vergletschert waren und als Rastplätze genutzt werden konnten, finden sich heute messerscharfe Felsgrate. Auf solche Dinge muss man Rücksicht nehmen. Andererseits hat der Rückzug der Gletscher in den steilen Nordhängen auch wunderschöne Kletterrouten freigegeben. Als Skilehrer sieht die Situation etwas anders aus, denn man ist auf Schnee angewiesen. Das Aletschgebiet hat dabei den Vorteil, dass es rund 2'000 m.ü.M. liegt und somit - zumindest vorerst - relativ schneesicher ist.